O du alte Droschkenherrlichkeit

Wie sich Berlin im und nach dem Ersten Weltkrieg auf seinen Notgeldscheinen dargestellt hat


Die bunten Notgeldscheine von 1921 schildern die 20 Bezirke der Millionenmetropole Berlin als biedermeierliche Idylle, die mit der rauen Wirklichkeit nach dem Ersten Weltkrieg nichts zu tun hatte.


Eine Kutsche fährt an der im Jahr 1800 eröffneten Neuen Münze am Werderschen Markt vorbei. Die Geldfabrik wurde bereits 1886 abgerissen.



Das Modell der Figur des "Eisernen Gustav" steht im Deutschen Technikmuseum gleich neben wunderbar restaurierten Kutschen und Oldtimer-Autos.



Während der Inflationsjahre wurden Geldscheine mit immer höheren Werten gedruckt. Aus manchen machte man durch rote Aufdrucke Milliardenwerte. (Foto/Repro: Caspar)

Wer über "Berlin und sein Geld" nachdenkt, kommt an den von Banken und Versicherungen, Brauereien und Kantinen, Kaufhäusern, Klubs, Konsumvereinen, Tanzpalästen und anderen Vergnügungsetablissements herausgegebenen Marken und Jetons aus Kupfer, Zink und Messing nicht vorbei. Sie dienten als Quittung, Pfand und Ersatzgeld, wurden aber auch für Reklamezwecke verwendet. Hinzu kommen münzenförmige Marken für Gas- und Stromzähler, aber auch für Straßenbahnen und Taxis. Außer den stadt- und firmengeschichtlich recht aussagekräftigen Metallmarken wurden vor hundert Jahren unzählige Notgeldmünzen und -scheine gedruckt. Sie sind keine Erfindung der Zeit des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 und der Inflationszeit 1922/23. Schon früher hat man bei Belagerungen meist eckige Geldstücke mit Punzeneinschlägen aus zerschnittenem Tafelsilber und Kanonenbronze hergestellt. Mitunter dienten auch Pappe und beschriebenes

Bereits 1916 kamen die ersten Berliner Notmünzen aus Zink heraus. Die Konsum-Genossenschaft ließ Werte zu einem, fünf, zehn und 25 Pfennigen herstellen, gefolgt von großen Warenhäusern. Nachdem die Allgemeine Berliner Omnibus AG ihre Fahrpreise von 5 auf 7 ½ Pfennig erhöht hatte, ließ sie ein viereckiges ½ Pfennigstück herstellen. Kurz vor dem Ende der Monarchie gab der Magistrat Stadtkassenscheine zu 50 Pfennig sowie fünf und 20 Mark heraus. Von Emil Döpler gestaltet, hatten die in den "Reichsfarben" schwarz, weiß und rot gedruckten Noten mit dem Datum 24. Oktober 1918 nur eine kurze Lebensdauer, denn sie sollten bis spätestens 1. Februar 1919 zur Einziehung und Einlösung aufgerufen werden. Als die Zeit dafür nahte, war der Kaiser bereits im holländischen Exil, Deutschland war eine Republik, und in Berlin herrschte Terror auf der Straße.

Am 1. Oktober 1920 wurde Groß Berlin aus dem Zusammenschluss von acht bisher selbständigen Städten, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken mit insgesamt 3,8 Millionen Einwohnern gebildet. Auf einer Serie von Stadtkassenscheinen zu 50 Pfennigen vom 5. September 1921 werden die 20 neuen Bezirke dargestellt, beginnend mit Mitte und endend mit Reinickendorf. Schöpfer der Serie war Ernst Böhm, der Berlin und seine Bezirke in einer heute eigenartig anmutenden biedermeierlichen Weise porträtierte. Häuser, Straßen und Plätze werden nicht in der Gegenwart gezeigt, da die Millionenstadt Berlin geradezu explodierte, sondern mit Rückgriffen auf alte Stiche und Zeichnungen - idyllische Windmühlen, Getreidefelder, Schleppkähne und Dampfboote, weidende Kühe, Gutshäuser und Dorfkirchen. Auch das Panorama der alten Festungsstadt Spandau, der Gesundbrunnen im gleichnamigen Bezirk und die Gerichtslaube, die im 19. Jahrhundert dem neu erbauten Roten Rathaus weichen musste, sind auf den bunten Scheinen mit dem Berliner Bären auf der Rückseite abgebildet. Es wird vermutet, dass die bunten Drucke weniger für den Kleingeldverkehr als vielmehr für den aufblühenden Kleingeldhandel gedacht waren. Deutschlandweit wurden damals ähnlich gestaltetes Neppgeld, wie man sagte, hergestellt und in Zeitschriften den Sammlern angeboten.

Schon bald besaßen die heimattümelnden Scheine nur noch Erinnerungswert, weil der Geldausstoß in die Höhe schnellte und selbst die ärmsten Leute über Nacht zu Milliardären machte. Jetzt waren Sachwerte und Immobilien gefragt, und wer gerissen war, legte Berge von Papiergeld in ihnen an, während bei anderen Leuten mühsam gesparte Rücklagen wie Wasser zwischen den Fingern zerflossen.

Ähnlich betulich wie bei der Bezirksserie geht es auf einer zweiten Magistrats-Folge, dem Berliner Droschken-Notgeld, von 1922 zu. Auf zehn Ausgaben mit dem Hinweis "Bei Benutzung der städtischen Straßenbahn Berlin - Gilt bis auf Widerruf durch Bekanntmachung im Gemeindeblatt" wird die Entwicklung öffentlicher Beförderungsmittel dargestellt. Zu sehen sind Kutschen und Straßenbahnen, Dampfloks, elektrische Eisenbahnen und Taxis, die man Benzindroschken nannte. Die ansprechend gestalteten Fahrscheine werden wegen der Künstlersignatur "B" dem Grafiker Ernst Böhm zugeordnet. Sie waren heftig umstritten, weil man mit ihnen eigentlich wenig anfangen konnte, nachdem der Magistrat die Erhöhung der Fahrpreise von zwei auf drei Mark beschlossen hatte. Für eine Fahrt musste man also zwei Scheine geben, bekam aber aus Mangel an Kleingeld nichts zurück. Im Oktober 1922 gab der Magistrat ebenfalls von Böhm gestaltete Stadtkassenscheine zu 100, 500, 1000, im August 1923 weitere Werte zu zwei Millionen sowie im Oktober 1923 zu drei und 20 Milliarden Mark heraus. Einige Ausgaben reproduzieren historische Stadtpläne wieder. Alle zusammen sind zeitgeschichtlich interessante Belege, die man im Handel recht preiswert bekommt.

Es kommen auch Exemplare mit dem Aufdruck Fünfhundert Mark oder Drei Millionen vor, womit die galoppierende Geldentwertung unterstrichen wird. Kurz vor dem Ende der Inflation lauteten die auf den 27. Oktober 1923 datierten Stadtkassenscheine "4,20 Mark Gold = 1/1 Dollar", kombiniert mit dem Hinweis: "Der Inhaber dieses Scheines kann gegen dessen Aushändigung nach Aufruf den Umtausch in Goldanleihe oder Auszahlung des Betrages in bar verlangen". Wer wertbeständiges Geld besaß, konnte sich glücklich schätzen. Einlieferer von gebündelten Millionen- und Milliardenscheinen erhielten nach der Einführung der Rentenmark nur noch Pfennige.

"Wat Stresemann nich jeschafft hat, det werde ick machen" - mit diesem Vorsatz setzte sich am 2. April 1928 der Berliner Droschkenkutscher Gustav Hartmann, von seinem schon recht klapprigen Gaul "Grasmus" gezogen, auf der Reichsstraße 1 nach Paris in Bewegung. Die über 2000 Kilometer lange Fahrt war ein Werbezug für Verständigung zwischen den "Erbfeinden" Deutschland und Frankreich zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und gleichzeitig eine Kampagne gegen den Niedergang des Pferdedroschkenwesens angesichts boomender Automobilität. Als Hartmann am 4. Juni 1928, seinem 69. Geburtstag, an der Seine ankam, war er ein berühmter Mann. Auszeichnungen wurden an die Brust geheftet, Empfänge für ihn veranstaltet. Die Pariser Kollegen ernannten ihn zum Ehrendroschkenkutscher. Drei Monate später, am 12. September 1928, begrüßten ihn die Berliner mit unbeschreiblichem Jubel. Heinz Rühmann setzte dem weltberühmten Kutscher ein rührendes Filmdenkmal, Hans Fallada erhob ihn zur Romanfigur.

Berlin, an Standbildern für Potentaten, Politiker und Professoren nicht gerade arm, hat vor wenigen Jahren dem mutigen Fahrensmann aus Wannsee ein Denkmal gesetzt, so wie andere Berliner Originale, der Hauptmann von Köpenick und der Zeichner des Proletariats Heinrich Zille, vor dem Köpenicker Rathaus beziehungsweise am Märkischen Museum und im Nikolaiviertel ihre Wiedergeburt erlebten. Wegen seiner eisernen Energie und steten Pünktlichkeit mit dem Spitznamen "Eiserner Gustav" ausgezeichnet, wurde Hartmann zur Ikone des Berliner Taxiwesens Die Wirtschaftsgenossenschaft Berliner Taxibesitzer sowie weitere Verbände und Vereine mussten bei der Geburt des Gustav-Hartmann-Denkmals allerdings vielfältige Widerstände von Kommunalpolitikern überwinden, dabei kostete das von Sponsoren finanzierte Bildwerk die öffentliche Hand keine Mark.

Nach zermürbendem Hin und Her fand die vom Bildhauer Gerhard Rommel geschaffene Figur einen Platz mitten im Verkehrsgewühl an der Potsdamer Straße gleich beim Kulturforum. Den obligatorischen Zylinder auf dem Kopf und den weiten Radmantel um die Schultern, ein Hufeisen auf der Brust, die Hände verschränkt, schaut Hartmann von der Potsdamer Straße hinüber zur Neuen Nationalgalerie, eine imposante Erscheinung mit langem Bart und aufmerksamem Blick. Es ist, also ob der aus Magdeburg stammende, ursprünglich als Müller und Kolonialwarenhändler tätige und schließlich als Fuhrunternehmer zu Wohlstand gelangte Hartmann aus einem Felsen herauswüchse. Der brausende Autoverkehr, gegen den Hartmann mit der Kraft einer Pferdestärke anzugehen versuchte, kann dem grauschwarz gefärbten Denkmal nichts anhaben.

Das Denkmal erinnert nicht nur an eine Symbolfigur vergangener Droschkenkutscher-Herrlichkeit, es ehrt auch den Namensgeber einer Stiftung zur Unterstützung alter, verdienter, unverschuldet in Not geratener Angehöriger des Berliner Droschkengewerbes, wie es in der Gründungsurkunde vom 12. September 1928 heißt. Mit einer großzügigen Einlage hatte sich Hartmann an dem Hilfsfonds beteiligt, der auch heute Opfern von Unfällen und Überfällen Not beisteht. Nach seiner spektakulären Fahrt verkaufte er Ansichtskarten und starb hochbetagt im Jahr 1938. Sein Grab liegt auf dem Friedhof an der Lindenstraße in Wannsee. Ob das Denkmal an der Potsdamer Straße zu einem Wallfahrtsort von Taxifahrern aus aller Welt wird, wie die Initiatoren hoffen, wird sich zeigen

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